„Derzeit vollzieht sich eine wahnsinnig schnelle Entwicklung in den Gesundheitstechnologien, und wir sind eigentlich viel zu langsam dabei, diese in die Praxis zu überführen“, sagt Julie Gehl. Sie sieht noch viele ungenutzte Möglichkeiten und wünscht sich, dass die neuen Technologien Patient:innen, Bürger:innen und dem Gesundheitswesen schnellstmöglich zu Gute kommen. Es geht einerseits darum, zu forschen und innovative Lösungen zu finden, zum anderen geht es aber auch darum, diese Lösungen anzuwenden. Hier ist es in der Welt der Forschung aber oft so, dass ausgerechnet für die Implementierung von Forschungsergebnissen in der Praxis die Mittel fehlen. „Man forscht und findet etwas Interessantes heraus, aber es wird nicht in die Praxis überführt, und somit kommen die Resultate nur wenigen oder gar keinen Patient:innen zu Gute“, sagt Julie Gehl. Hier helfen Interreg-Projekte indem sie Möglichkeiten schaffen, einige neue Technologien im Gesundheitssektor zu testen zu können. So können Erfahrungen gesammelt werden, wie diese Technologien im Gesundheitswesen optimal genutzt werden können.
Julie Gehl ist Professorin und Oberärztin an der Abteilung für klinische Onkologie und palliative Einheiten am Universitätshospital Seeland. Sie forscht seit 1995 in der Anwendung von elektrischen Feldern für die Öffnung von Zellmembranen, um dadurch verschiedene Moleküle in die Zellen einlegen zu können. Diese Methode heißt Elektroporation. Mit Hilfe von kurzen elektrischen Impulsen wird eine kurzzeitige Durchlässigkeit der Zellmembranen erreicht, und damit wird es ermöglicht, höhere Konzentrationen von medizinischen Wirkstoffen in Krebszellen einzubringen. Diese Methode wird beispielsweise bei der Kalzium-Elektroporation angewendet, die von Julie Gehl und ihrem fachlichen Team im Jahr 2012 erstmals wissenschaftlich publiziert wurde.
Forschung war schon immer Julie Gehls große Leidenschaft. Die Neugier treibt sie an. Schon als Schülerin war sie begeistert von Biologie und jeder Form von Naturwissenschaft und sie mochte es, mit Menschen zusammenzuarbeiten. Sie will gerne Zusammenhänge entdecken und neue Ideen entwickeln. Ärztin oder Forscherin zu werden, war somit eine logische Konsequenz für sie. Als fertig ausgebildete Ärztin begann sie auf einer Krebsstation, und damals war es so, dass man entweder in der Strahlentherapie oder in der Chemotherapie forschte. Julie Gehl verließ dieses Denkmuster und meinte, „dass es spannend sein könnte, auch andere Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen“. Damit begann ihre Arbeit mit der Elektroporation.
Im Jahr 2017 kam sie an das Universitätshospital Seeland, und hier machte sie erstmals Bekanntschaft mit EU-Interreg-Projekten. Das erste Projekt war „Innocan“ im Rahmen des Interreg-5a-Programms Deutschland-Danmark. „In diesem Projekt hatten sie wirklich einige spannende Ergebnisse, u.a. hatten sie gezeigt, dass man bei einer bestimmten Gruppe von Darmkrebs-Patient:innen mit der Hälfte an Chemotherapie auskommt. Ich fand, dass das eine wirklich tolle Forschungsarbeit und direkt zum Vorteil der Patienten war. Darüber hinaus war sie auch zum Vorteil der Gesellschaft, den man konnte die Behandlung verkürzen.“
Kurz darauf startete das nächste Projekt, Changing Cancer Care, und hier konnte Julie Gehl den Inhalt des Projektes mitbestimmen. Es wurden zwei neue Forschungsbereiche in das Projekt aufgenommen, Liquid Biopsy und Kalzium Elektroporation. Bei der Liquid Biopsy sucht man nach DNA-Fragmenten von Krebsgeschwüren, die frei in der Blutbahn fließen. Diese zeigen als Indikatoren an, wie effektiv eine Krebsbehandlung ist: Je weniger Krebs-DNA in der Blutbahn ist, desto besser wirkt die Behandlung. Bei dem anderen Forschungsbereich, der Kalzium-Elektroporation, arbeitet das Universitätshospital Seeland mit dem Hospital Vejle und der Klinik für Strahlentherapie der Universität Lübeck zusammen. Diese starteten ein gemeinsames Forschungsprojekt mit 30 zu behandelnden Patient:innen. Auf Basis dieser großen Anzahl von Patient:innen ließ sich gut analysieren, wie sich die neue Behandlungsmethode der Kalzium-Elektroporation am besten in die eine Krankenhausabteilung einführen lässt, und was dabei zu beachten ist.
Neben den wissenschaftliche Resultaten führt die grenzübergreifende Zusammenarbeit aber auch zu anderen Effekten: Man wird auf die Nachbar:innen jenseits der Grenze aufmerksam, sieht Gemeinsamkeiten und Unterschiede – und man kann daraus lernen.
„Es ist interessant zu sehen, wo es Bereiche gibt in denen wir die Dinge unterschiedlich handhaben. Davon können wir mitunter eine ganze Menge lernen. Beispielsweise im Zusammenhang mit dem Innocan-Projekt: Hier schauten wir auf die Überlebensraten von Darmkrebspatient:innen in Dänemark und verglichen diese mit Norddeutschland. Im ersten Jahr des Projektes zeigte sich, dass die deutschen Patient:innen deutlich bessere Überlebensraten hatten. Als dann aber in Dänemark neue Regularien eingeführt wurden, wie Krebspatient:innen schnellst- und bestmöglich zu behandeln sind, stieg die Überlebensrate auf der dänischen Seite auf das gleiche Niveau. Hier lässt sich sehen, welche Effekte unterschiedliche Organisationsformen im Gesundheitswesen haben können.“
Transnationale Zusammenarbeit kann also viele Seiten haben. Sich gegenseitig zu kennen und voneinander zu lernen, ist eine davon. Grenzübergreifende Gemeinschaftsprojekte sind eine zweite Seite, und gegenseitige Nachbarschaftshilfe eine dritte. Alle diese Bereiche können gestärkt werden, wenn die deutsch-dänische Grenzregion mehr zusammenwächst. Das kann beispielsweise auf Grundlage großer Infrastrukturprojekte wie der Fehmarnbeltverbindung geschehen, am wichtigsten aber ist, offen füreinander zu sein.