Das Team der deutschen und dänischen Krebsforscher*innen war sich schnell einig: „Wir fahren spätabends los und treffen uns auf einem einsam liegenden Parkplatz an der Grenze, und dann gehen wir über die Grenze, wenn es dunkel ist“, sagt Malene Støchkel Frank, Ärztin und Doktorandin an der Onkologischen Abteilung des Universitätskrankenhauses der Region Seeland in Næstved. Auf der deutschen Seite sollte dann Dr. Michael Forster warten, Forscher am Institut für Molekularbiologie in Kiel. Er sollte die auf minus 80 Grad gekühlten Blutproben entgegennehmen und damit schnell zur Analyse in sein Institut fahren.
Das klingt nicht ganz legal – und natürlich wurde dieser „Plan“ auch nicht durchgeführt. Aber die Corona-Einschränkungen behindern die Arbeit an einem deutsch-dänischen Forschungsprojekt erheblich, und das führt zu Frustrationen und mitunter „dunklen“ Gedanken. Doch selbstverständlich sind die Wissenschaftler*innen vollkommen seriös und warten nun bis zum Frühjahr, wenn geimpftes medizinisches Personal dann hoffentlich die gutgekühlten Blutproben von Næstved zur Analyse nach Kiel bringen kann. „Wir müssen von Tag zu Tag sehen, wie sich die Situation entwickelt und was möglich ist“, sagt Malene Støchkel Frank.
Eine neue Methode der Krebsbehandlung
Das Forschungsteam untersucht die neue und für Patient*innen schonendere Monitoring-Methode der Liquid Biopsie. Diese Methode ist besonders für Patient*innen mit Lungenkrebs geeignet. Diese können damit die äußerst unangenehme, schmerzhafte und mit Risiken behaftete Lungenbiopsie vermeiden, bei der eine Gewebeprobe aus der Lunge entnommen wird. Hierbei wird eine größere Kanüle durch den Brustkorb in die Lunge gesteckt, und durch diese Kanüle wird ein Stück Lungengewebe herausgezogen. Manchmal ist es auch notwendig, den Brustkorb zu öffnen, und die Gewebeprobe operativ zu entnehmen. Diese Proben sind notwendig, um zu analysieren, ob sich im Lungengewebe mutierte Krebszellen befinden. Mit der neuen Liquid Biopsie Methode ist all das nicht mehr notwendig, und die Lungenbiopsie kann durch eine einfache Blutprobe ersetzt werden.
Schonender für Patient*innen
„Das Interessante für die Patient*innen bei der Liquid Biopsie ist, dass wir sehen können, ob sich der Tumor weiterentwickelt, ohne in die Lunge reinstechen zu müssen. Wir können anhand der DNA sehen, ob dort Mutationen entstehen und ob sich Resistenzen entwickeln“, sagt Dr. Michael Forster.
Jedoch gibt es eine Reihe von Herausforderungen bei dieser Methode: „Das Blut zirkuliert im Körper, und somit sammelt sich dort DNA aus dem gesamten Körper. In den Blutproben hat man somit Informationen von allen Tumoren, man weiß aber nicht, von genau welchem der Tumore die DNA stammt“, erklärt Malene Støchkel Frank.
Ein anderes Problem ist, dass der Anteil der Krebs-DNA im Blutplasma zwischen 65 und 0,1% beträgt. Deshalb ist es schwierig, genügend belastbare Daten zu gewinnen. Diese Problemsituation beschreibt den Startpunkt der Studie: Wie kann man genügend Daten gewinnen und dabei Fehler möglichst vermeiden?
Neuer Fachartikel wurde publiziert
Eine Autor*innengruppe um die beiden Forscher*innen hat nun unlängst einen wissenschaftlichen Artikel zu diesem Thema publiziert. Der Artikel vergleicht verschiedene Methoden der Liquid Biopsie. Er beschreibt, dass die Messgrenze für Tumore im Blutplasma bei 0,1% DNA-Anteil liegt, darunter sind Mutationen nicht nachweisbar. Um Krebsmoleküle nun ausreichend messbar zu machen, ist es deshalb notwendig, dieses genetische Material biochemisch mit einem Faktor 2 hoch 30 zu replizieren, also ca. eine Milliarde Mal. In diesem Replikationsprozess können jedoch Fehler entstehen, und diese Abweichungen könnten als Mutationen fehlinterpretiert werden. Wird aber jedes replizierte Molekül mit einer eindeutigen Kennung markiert, kann man dieses Problem lösen. Das jedoch ist teuer.
Interreg-Projekt Changing Cancer Care hilft der Forschung
„Wenn diese Methode, mit der man die Fehler minimiert, im großen Umfang zu klinischen Anwendung kommen soll, müssen die Kosten dafür gesenkt werden“, erklärt Dr. Forster. Darüber hinaus muss weiter untersucht werden, wie die Methode zu 100% sicher gemacht werden kann. „Es fehlt uns noch an Wissen, wieweit die Liquid Biopsie die bisherigen Gewebeproben ersetzen kann. Hier muss noch weiter geforscht werden“, sagt Malene Støchkel Frank.
In der Onkologischen Abteilung des Universitätskrankenhauses der Region Seeland in Næstved arbeiten die Wissenschaftler*innen mit einem Untertypus des Lungenkrebses, dem sogenannten EGFR-mutierten Lungenkrebs. „Hier kann man die Liquid Biopsie benutzen um den Effekt der Behandlung überwachen“, und darüber hinaus kann die Methode in der Forschung genutzt werden. Gerade deshalb sind Studien wie beispielsweise diese im Rahmen des Interreg-Projektes Changing Cancer Care wichtig, „um mehr Wissen zu gewinnen, wie die neue Methode in die klinische Praxis überführt werden kann“, sagt Malene Støchkel Frank.
Große Effekte, sowohl für Patienten wie auch für die Gesellschaft
Lungenkrebsbehandlungen sind häufig mit schwerwiegenden Nebenwirkungen verbunden, die eine stationäre Einweisung ins Krankenhaus erfordern und die Lebensqualität der Patient*innen erheblich beeinträchtigen.
„Es ist es wichtig, die Behandlung sorgfältig zu überwachen, um frühzeitig zu erkennen, ob sie wirksam ist oder nicht. Im gegebenen Fall kann man so eine unwirksame Behandlung auch frühzeitig stoppen. Studien haben gezeigt, dass Liquid Biopsie in vielen Fällen für die Überwachung besser geeignet ist als das traditionelle Monitoring. Es lässt sich viel früher feststellen, ob eine Behandlung effektiv wirkt“, führt Malene Støchkel Frank aus.
Neben den positiven Effekten für die Patient*innen hat diese neue Methode aber auch große ökonomische Effekte für das Gesundheitssystem. Hier können Ressourcen in großem Umfang gespart werden. Lässt sich eine unwirksame Behandlung früher erkennen und so stoppen, schont das nicht nur die Patient*innen, es spart auch in erheblichem Maße Ausgaben.
„Meine andere dänische Kollegin im Projekt, Prof. Julie Gehl, sieht einen großen Vorteil der neuen Methode genau darin, dass man frühzeitig mit einer alternativen Behandlung anstelle der unwirksamen Behandlung beginnen kann. Wenn diese dann einen guten Erfolg zeigt, schont das die Patient*innen. Parallel dazu können beispielsweise die Behandlungsintervalle für die Infusion mit Antikörpern reduziert werden. Für Patient*innen bedeutet dies, dass ihnen ein ganzer Behandlungstag und die damit verbundenen Belastungen erspart bleiben“, erklärt Dr. Michael Forster.
Gleichzeitig reduzieren sich damit die Behandlungsausgaben. Beispielsweise kostet eine Immuntherapie mit Antikörpern etwa 10.000 € und eine Chemotherapie etwa 5.000 € im Monat.
Grenzübergreifenden Zusammenarbeit
Es ist noch immer ein weiter Weg bis die neue Liquid Biopsie Methode in großem Stil in der klinischen Behandlung zur Anwendung kommen kann. Das wäre zum Wohl der Patient*innen und es hätte positive ökonomische Auswirkungen für das Gesundheitswesen. Deshalb sind Forschungsprojekte wie diese Studie im Rahmen des Projektes Changing Cancer Care so wichtig. Es wird mehr Wissen benötigt, es wird die Gewissheit benötig, dass die Methode zu 100% sicher ist, und es werden Lösungsansätze gebraucht, wie sich die Methode in der klinischen Behandlung anwenden lässt.
Die Wissenschaftler*innen hoffen nun darauf, dass die Corona-Einschränkungen bald gelockert werden können. Sie hoffen darauf, dass sie dann endlich ihre Blutproben in Trockeneis verpacken und von Næstved über die Grenze zur Analyse nach Kiel bringen können, um dann endlich ihre Forschungsarbeit an der Liquid Biopsie Methode fortzusetzen.